Seit Sonntag bin ich wieder in meiner Heimat. Über 60 Stunden Heimreise, nur 4 Stunden Schlaf währenddessen. Von Nordli per Anhalter nach Grong, mit dem Zug nach Trondheim, per Bus nach Oslo, von dort über Kopenhagen mit dem Flieger nach Hamburg und letztendlich im Auto nach Nürnberg.
Lange Wartezeiten – insgesamt 34 Stunden – haben die Reise anstrengend, dafür aber günstig gemacht. Zuerst wollte ich nicht schlafen, irgendwann konnte ich es nicht mehr. Zu viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf.
Ich will hier aber eigentlich nicht meine Heimreise beschreiben. Der Grund, warum ich das hier schreibe ist, dass ich versuchen möchte euch zu erklären, was mich dazu bewegt hat, dieses Jahr nicht weiter Richtung Kap zu gehen. Das war ja bei Weitem keine einfache Entscheidung. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Physisch hätte es keinerlei Grund gegeben nicht weiterzugehen, ich bin extrem fit im Moment. Es war reine Kopfsache. Demnach wird dieser Beitrag auch der mit Abstand persönlichste.
Eine Erklärung, aber zumindest den Versuch einer solchen bin ich allen, die mir auf meinem Weg zum Nordkap gefolgt sind und mich auf verschiedenste Art und Weise unterstützt haben, schuldig.
Seitdem ich am Abend des 14.7 entschieden habe, mich auf den Weg nach Deutschland zu machen, ist nun etwas mehr als eine Woche vergangen, in der ich Gelegenheit hatte meine Gedanken zu ordnen und „anzukommen“.
Im Rückblick bin ich der Überzeugung, dass die Nachricht über den Tod meines Vaters, die mich während meiner Zwangspause in Skåbu erreicht hat, der „Anfang vom Ende“ meines Projektes „NPL 2016“ war. Mein Vater hatte vor zwei Jahren einen Schlaganfall und lag seitdem in einem Pflegeheim. Die Möglichkeit seines Todes während meiner Tour war mir vollkommen bewusst. Damit und mit der Frage: „was wäre, wenn“, hatte ich mich schon vor dem Start auseinandergesetzt. Ich war gewillt meinen Weg, trotz der bitteren Nachricht, fortzusetzen.
Das mag für den einen oder anderen vielleicht nicht richtig erscheinen. Auch ich habe mir Gedanken gemacht, ob ich der Situation entsprechend gerecht handle, indem ich weiterlaufe. In diesem Moment gab es aber in meiner Vorstellung nichts Sinnvolleres, als weiterzugehen.
Obwohl ich mich in den folgenden Tagen, auch beim Aufbruch in die Rondane, sehr gut fühlte, hatte die Nachricht, anfangs ohne dass ich es selbst merkte, einiges in mir ausgelöst.
Um das verständlich zu machen, muss ich euch noch etwas mehr über mich erzählen:
Als ich 15 Jahre alt war, wurde bei meiner älteren Schwester Leukämie diagnostiziert. Ich hatte ein sehr inniges Verhältnis zu meiner Schwester und begleitete sie auf Schritt und Tritt im Kampf gegen den Krebs, den sie leider nicht gewinnen konnte.
Seitdem ist einige Zeit vergangen und ich war bis jetzt immer der Meinung, das Geschehene verarbeitet zu haben, beziehungsweise meine Antworten, nach denen ich in der Folge gesucht habe, gefunden zu haben.
In Norwegen wurde ich aber eines Besseren belehrt.
Gehen, vor allem, wenn man allein ist, hat eine therapeutische Wirkung. Gedanken, die einem beim Gehen in den Kopf kommen – und sie kommen bestimmt und sicher nicht zu knapp – kann man nicht einfach wegwischen. Kommt mir zuhause ein unangenehmer Gedanke, kann ich mich bei Bedarf auf unendlich viele Arten ablenken und die Konfrontation mit mir selbst vermeiden. Genau das ist beim Langstreckenwandern aber nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich (der iPod mit Musik und Hörbüchern ist in meinem Fall die einzige Möglichkeit).
So bin ich beim Gehen gezwungen mich mit meinen Gedanken aktiv auseinanderzusetzen, egal wie unangenehm diese auch sind. Das mag nicht für alle Leser nachvollziehbar sein, kann zuweilen aber eine extreme psychische Herausforderung sein. Gedanken können in einer Situation der Isolation starke Gefühle – sowohl positive, als auch negative – auslösen.
Bitte nicht falsch verstehen! Ich bin sehr froh, dass es so ist. Ich möchte mich ja mit mir und meinen Gedanken auseinandersetzen.
Nach meinem Wiederaufbruch aus Røros in den Nationalpark Skarvan og Roltdalen wurde ich von meinen Gedanken jedoch beinah überrannt. Schmerzhafte Erinnerungen an Krankenhausaufenthalte mit meiner Schwester, an die Heimat und die Menschen dort, die mir wichtig sind.
Solche Situationen kommen vor auf Tour. Es gibt unzählige Gründe dafür. Sei es durch das Wetter, den Hunger, weil das Terrain nicht gut zu gehen ist oder einfach grundlos. Es gibt immer wieder Tage, an denen die Laune am Boden ist und man es einfach nicht schafft zurück zur positiven Einstellung zu kommen. Aber das gehört dazu! Dass Solo-Langstreckenwandern eine große Herausforderung ist, ist kein Geheimnis. Und meistens schaut am nächsten Morgen alles wieder viel besser aus.
Meine Gefühlslage änderte sich aber nicht. Ich schaffte es nicht, mich aus dem Gedankenkarussell zu befreien, das mich in eine Art depressiven Dauerzustand beförderte. Und das Bewusstsein, dass ich nicht alleine mit meinen Gedanken zurecht kam, beschwor eine Angst vor dem Allein-Sein in mir herauf, die mich morgens versuchte im Schlafsack zu halten und mir tagsüber die Kraft raubte.
Ich hatte kein Auge mehr für meine Umgebung, und ich konnte das Gehen nicht mehr genießen.
So kam zuerst die bittere Einsicht, dass ich diesmal nicht in der Lage war mich selbst aus meiner misslichen Lage zu befreien und damit die Entscheidung dieses Jahr nicht weiter als bis Nordli zu gehen. Nach 1300 zurückgelegten Kilometern musste ich mich meinem eigenen Kopf geschlagen gegeben.
Norge på langs soll Spaß machen! Ich will in der Lage sein mich und meine Umgebung wahrzunehmen und zu genießen. Das Wandern reizt wirklich alle Sinne, wenn man sich darauf einlassen kann. Genau das ist mir leider verloren gegangen. Ich war durch meinen psychischen Zustand vollkommen blockiert.
Ich bin überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. So sehr es auch schmerzt nicht weiterzugehen, sehe ich ein, dass es nicht gesund gewesen wäre in solch einer Situation die Vernunft über Bord zu werfen und weiterzugehen.
Der Abbruch dieses Jahr bedeutet aber natürlich nicht das Ende meines Projektes! Ich werde in den nächsten Wochen die bisher zurückgelegte Strecke nachbearbeiten und den Blog weiterhin mit Beiträgen speisen. Ich hoffe, dass ich schon nächstes Jahr von Nordli aus meinen Weg ans Kap fortsetzen kann, um das Begonnene auch zu Ende zu bringen.